Mit dem Rad ans Meer. Bikepacking Berlin Usedom Radweg.
Einfach mal mit dem Rad ans Meer? Das klingt immer so schön und leicht gesagt. Öfter schon hatte ich vom Berlin-Usedom-Radweg gelesen und gedacht, man könne den irgendwann ja vielleicht auch mal zum Bikepacking fahren. Als wir uns dann entschlossen, im Oktober 2022 eine Woche Urlaub auf Usedom zu machen, war die Frage, wie wir dahin kommen, entsprechend schnell geklärt.
Den Hinweg wollten wir in 3 Tagen mit dem Fahrrad von Berlin aus fahren. Den Rückweg aus Zeitgründen dann mit dem Zug. Da kam das irgendwann doch früher als erwartet. Während der Buchung hofften wir noch auf einen goldenen Oktober mit einer Bilderbuchfahrt und schönen sonnigen Tagen an der Ostsee. So dachten wir, wäre auch die Gepäckfrage kein Problem, da dünne und kurze Sachen natürlich sehr viel weniger Platz wegnehmen als ein dicker Winterpullover. Einige Tage vor Abreise war dann aber klar, dass es sich hier eher um Wunschdenken gehandelt hatte. So hatten wir beim Taschen packen vorab doch die ein oder andere Überlegung mehr und mussten dann die Klamotten ganz schön in unsere Rahmentaschen stopfen, um für jedes Wetter gewappnet zu sein. Auch die Regensachen packten wir glücklicherweise gut griffbereit ein, um im Notfall schnell reagieren zu können und nicht komplett durchnässt zu sein.
Tag 1:
So ging es dann am 1. Oktober an einem Samstagmorgen aus dem östlichen Berlin los in Richtung Angermünde/Brandenburg, wo wir nach ca. 95 km unser Ziel erreichen wollten. Kaum waren wir aus Berlin raus in Richtung Norden geradelt ging es auch schon los und der Himmel brach über uns zusammen. Gut, dass wir die Regensachen* griffbereit hatten 🙂 Teilweise regnete es aber dann doch so stark, dass wir kürzere Zwangspausen einlegen mussten, da auch die besten Regensachen ihre Grenzen haben und die Sicht mitunter ganz schön eingeschränkt war. So eilig, dass man einen Unfall riskiert, hat man es ja eigentlich auch wieder nicht.
Der Laune tat das aber zum Glück keinen Abbruch und wir radelten Kilometer um Kilometer ab und waren doch sehr überrascht, wie hügelig Brandenburg sein kann. Glaubt niemandem, der sagt, hier fahrt ihr nur durchs Flachland. Natürlich gibt es keine riesigen Anstiege, aber dennoch geht es viel Berg auf und Berg ab. Mit viel Gepäck oder nicht vorhandener Form kann das je nach Tagesziel mitunter schon anstrengend werden – an dem Tag machte es uns aber nichts aus und wir genossen es einfach, über richtig toll ausgebaute Radwege fahren zu dürfen. So vergingen die knapp 100 km wie im Flug. Gegen Ende der Tour sahen wir aus wie Schweine. Dreck im Gesicht, Dreck an den Klamotten und frischer und getrockneter Dreck überall an unseren Fahrradtaschen und Rädern.
Wir hatten vorab eine Übernachtung in einer Pension gebucht. Und während wir die letzten Kilometer im wunderschönen Sonnenuntergang radelten, hofften wir sehr, dass die Vermieter uns und unsere mit Dreck übersäten Taschen überhaupt ins Haus lassen würden. Nach kurzem Abputzen der Taschen und uns selbst mit einer Bürste ging es dann glücklicherweise ins Haus. Hier freuten wir uns über eine warme Dusche, einen vollen Kühlschrank und ein bequemes Bett, um uns für den nächsten Tag erholen zu können.
Tag 2:
Gut erholt und froh darüber, dass der Wettergott es ganz gut mit uns meinte und es morgens nicht schon regnete, bepackten wir nach einem entspannten Frühstück unsere Räder mit den Rahmentaschen. Unser Tagesziel hieß Ueckermünde und war immerhin gut 110 km und 600 Höhenmeter entfernt.
Obwohl wir uns fit fühlten, kamen wir nur schwer voran. Heftiger Gegenwind peitschte uns konstant entgegen und nur in wenigen Abschnitten ließ er nach oder kam von der Seite. Das war ebenfalls nicht schön, aber immerhin eine mehr als willkommene Abwechslung zum dauerhaften Gegenwind, der einen zurücktreibt und heftig ins Gesicht schlägt. Es rollte einfach nicht so leicht wie noch am Tag zuvor. 20 km fühlten sich für uns an wie 60 km, und wir legten häufiger kleinere Snackpausen * ein, um nicht völlig den Mut und auch die Kraft zu verlieren.
Kurze tierische Begegnungen boten da ordentlich Abwechslung und hoben die Laune immerhin für kurze Zeit wieder ein bisschen mehr an. Als wir über einen Weg neben einem größeren Feld fuhren, stellte sich uns ein Kranich einfach mitten in den Weg und tapste direkt auf uns zu. Ob er nur neugierig war oder uns vertreiben wollte? Wir wissen es nicht, aber wir versuchten ihm möglichst auszuweichen und fuhren mit Respekt und einem mulmigen Gefühl an ihm vorbei. Kleiner Spoiler: Wir haben überlebet 🙂
Auf ungefähr der Hälfte der Strecke durchquerten wir Pasewalk und freuten uns darüber, dass in der Stadt der Wind nicht ganz so sehr durchpfiff. Allerdings ist die Stadt natürlich nicht endlos lang. Und meistens ist man als Radfahrer eher froh, wenn man Städte hinter sich lassen und wieder auf besserem Radweg umgeben von Natur fahren kann. Leider war der Rest der Strecke überwiegend geprägt von Landstraßen, auf denen man ungeschützt neben den Autos fahren musste. Hier hatten wir Glück, dass zum Sonntag nicht allzu viel Verkehr unterwegs war.
Links und rechts neben uns erstreckten sich große Felder, bestückt mit Windrädern. Und diese hatten dort durchaus ihre Daseinsberechtigung, stürmte es dort doch noch höllischer als auf den vorigen Wegabschnitten. Jeder Tritt in die Pedale fühlte sich sinnlos und wie ein großer Kraftakt an. Man gab alles und kam gefühlt dennoch kaum vom Fleck. Eine wahnsinnige Zerreißprobe für uns beide. Es hatte keinen Zweck. Wir hielten mitten auf der Landstraße an und überlegten, ob es sinnvoll ist, überhaupt weiter zu fahren.
Nach einigen verzweifelten Diskussionen entschlossen wir uns dann, weiterzufahren und am nächsten Bahnhof den Zug für die verbleibenden Kilometer zu nehmen. Als wir dann nach einer gefühlten Ewigkeit nach 12 km endlich am Bahnhof in Nechlin völlig fertig, aber frohen Mutes ankamen, folgte jedoch direkt der nächste Rückschlag. Die nächste Bahn sollte erst in 2 Stunden abfahren. Da der Bahnhof tatsächlich nur aus Gleisen bestand und es keine Möglichkeit zum Warten oder Essengehen gab, entschlossen wir uns dazu, die restlichen 40 km doch noch mit dem Fahrrad durchzuziehen.
Die nächsten 20 Km rollten dann auch ganz gut weg. Die Anderen waren nur noch ein Kampf. Häufigere Pausen, langsamerer Schnitt und das Gefühl, dass man dem Ziel nicht näherkommt und es wird immer später und später. Langsam kommen die Gedanken, dass so auch die Regenerationszeit bis zur nächsten Etappe verkürzt wird. Die Verzweiflung mischt sich mit Erschöpfung und verursacht einen hässlichen und nervigen Gedankencocktail, der unentwegt an einem nagt. Die letzten 10 km wusste ich nicht mehr, wie ich noch ankommen sollte. Wir fuhren an einem gefühlt endlos langen Weg, an dem ein Bundeswehr-Übungsgelände war, vorbei und ich hatte das Gefühl, es endet nie. Mir tat alles weh und ich wollte nur noch abgeholt werden. Pure Verzweiflung. Mit Tränen in den Augen saß ich in einer Bushaltestelle vor dem Truppenübungsplatz und versuchte, mich irgendwie wieder zusammenzusammeln. Die Kilometer zogen sich endlos.
Nach 117 km fuhren wir endlich in unsere Pension am Rosengarten ein. Diese stellte sich als wahrer Glücksgriff heraus. Die Zimmer und das Gelände waren sauber und schön eingerichtet und alles wirkte einfach nur einladend und wie gemacht zur Erholung. Vorausgesetzt natürlich man kommt nicht so spät am Abend erst an wie wir an diesem Tag. Wir haben uns auf jeden Fall fest vorgenommen, nochmal nach Ueckermünde zu fahren. Dann aber mit mehr Zeit im Gepäck und werden uns dann auf jeden Fall auch wieder im Rosengarten einquartieren. Nachdem wir die Räder abgeladen und den Wahnsinn des Tages abgeduscht hatten, waren wir völlig erschöpft, sowohl körperlich als auch mental. Zudem begann mein Knie Probleme zu verursachen und ich konnte vor Schmerz kaum auftreten. Wir beschlossen, dass wir am nächsten Morgen entscheiden, ob wir mit dem Zug oder dem Fahrrad die restliche Strecke zurücklegen werden. Aber erstmal eine Nacht darüber schlafen…
Tag 3:
Als der nächste Morgen kam, waren wir erstaunlich gut erholt und selbst überrascht, wie viel besser wir uns zum Vortag fühlten. Wir waren halbwegs fit und die Knieprobleme waren auch kaum mehr spürbar. Ein paar Körner hatte der letzte Tag dann aber doch gekostet. Deshalb entschieden wir uns dazu, zwar mit dem Fahrrad weiter nach Usedom zu fahren, aber die Tour ein wenig abzuspecken und mit der Fähre ein paar Kilometer einzusparen. Statt 90 km sollten es dann „nur“ 70 km werden. Die Entscheidung hierfür fühlte sich absolut richtig an und wir hatten nicht das Gefühl, dadurch etwas zu verpassen.
Die ersten 25 km wurden wir mit traumhaft schönen Wegen belohnt. Es ließ sich unfassbar gut und leicht fahren und auch der Gegenwind hatte an dieser Stelle spürbar abgenommen. Absolut machbar. Ich hätte noch stundenlang durch diese Landschaften fahren können – nur ein Zwischenstopp war leider nicht möglich, es sei denn, man verspürt den Wunsch, von Mücken zerstochen zu werden. Ansonsten empfehle ich, so gut es geht, in Bewegung zu bleiben, dann ist man relativ sicher.
Angekommen an der Fähre von Kamp nach Karnin mussten wir leider relativ lange warten, bis es weiterging und die Fähre endlich auftauchte. Die Hauptsaison war vorüber und so stand die Fähre eher auf Abruf bereit, anstatt wie sonst regelmäßig hin und her zu pendeln. Obwohl die Mitarbeiterin direkt anrief, dauerte es nochmal über eine Stunde, bis es weiterging. Das war natürlich kein Weltuntergang, aber ein wenig schade um die verlorene Zeit war es dennoch. Vor allem, weil die kurze Fahrt, die nur einige Minuten dauerte, tatsächlich alles andere als ein Schnäppchen war. In Kamp gab es, bis es losging, für Marco noch ein Fischbrötchen und für mich ein Stück Kuchen. Danach konnten wir schließlich auf der anderen Seite unsere Fahrt endlich fortsetzen.
Die restlichen 40 km verliefen landschaftlich und vom Fahren her relativ unspektakulär. Als wir nach gut 70 km am Nachmittag in unserer Unterkunft in Ahlbeck ankamen, waren wir froh, es geschafft zu haben. Und vor allem waren wir stolz darauf, dass wir nicht aufgegeben hatten. Es scheint mir rückblickend oft so, als wäre die aktuelle Radtour immer die Schwerste, und das mag auch so sein.
Dennoch bleibt mir der zweite Tag auf dem Berlin-Usedom-Radweg definitiv in Erinnerung. Der Wind, die Erschöpfung, der mentale Kampf gegen sich selbst. All das hat man während Fahrradtouren immer mal wieder und muss gegen sich selbst und die Witterung kämpfen. An diesem Tag war das jedoch nochmal eine völlig neue Herausforderung von ganz anderem Ausmaß. Rückblickend kann ich manchmal kaum glauben, dass ich es doch noch von dem Bushäuschen weg geschafft habe.
Fazit zum Berlin Usedom Radweg
Kann ich die Tour empfehlen? Auf jeden Fall.
Würde ich einiges anders machen? Ebenfalls – auf jeden Fall. Ich denke, heute mit den größer werdenden Knieproblemen würde ich die Tour in mehr Etappen teilen oder zumindest auf den Frühling/Sommer legen. Da hat man weniger Gepäck und meist auch etwas mehr Glück mit dem Wetter. Natürlich kann es auch im Sommer regnen und stürmen. Aber der Herbstbeginn hat uns die Tour auf jeden Fall sehr erschwert.
Tipps? Ohja. Es muss nicht immer die 100 km-Marke am Ende des Tages geknackt werden. Fahr so, wie du möchtest, egal wie weit oder kurz, und wie der Schnitt ist. Die Tour muss zu dir und deinem Reisewunsch und Fitnesslevel passen und nicht zu den Sachen, die andere vielleicht machen.
Ich bin mit viel zu wenig Übungskilometern und Konstanz an die Tour gegangen. Trotzdem habe ich mir den Druck gemacht, dass ich trotz meines Gewichtes und Trainingsdefizits jeden Tag knapp 100 km fahren sollte – auch mit dem Gepäck. Das war natürlich rückblickend totaler Quatsch. Ich hätte es anders planen sollen und dann sicherlich auch alles mehr genießen können. Aber hinterher weiß man es ja meistens besser. Wenn wir den Berlin-Usedom-Radweg nochmal fahren, gehe ich auf jeden Fall ein bisschen anders an die ganze Sache ran. Aber ich freue mich schon jetzt darauf, nochmal mit dem Rad ans Meer zu fahren…
Du hast Lust auf mehr Bikepacking? Dann schau doch gern bei meiner Bikepacking Tour von Berlin nach Chemnitz vorbei 🙂
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